Am 9./10. Juni
2018 hat ein Seminar zum Thema „Alleinsein“ in Hamburg stattgefunden. Am
Samstag hat Thay Phap Nhat in seinem Dharma-Vortrag zunächst über den
Unterschied der beiden Begriffe „Alleinsein“ und „Einsamkeit“ gesprochen. Das
Wort „Allein“ ist eigentlich aus zwei Wörtern zusammen gesetzt: „All-ein“
(analog im Englischen „alone“ mit der Bedeutung „all-one“). Dies ist für uns
vielleicht zunächst überraschend, da wir das Wort „allein“ heutzutage eher im
Bedeutungssinne „einsam“, also die Anwesenheit einer einzelnen Person ohne die
Anwesenheit weiterer Personen, verwenden. Das Wort „allein“ hat also in seinem
Wortsinne gar nichts mit Einsamkeit zu tun, sondern beschreibt einen
Geisteszustand, indem wir uns als eins mit Allem wahrnehmen, uns also maximal
verbunden fühlen. In diesem Geisteszustand können wir jederzeit verweilen,
sowohl wenn wir einsam sind als auch wenn andere Menschen um uns herum sind.
Die Kultivierung dieses Geisteszustands ist ein wichtiges Ziel der Meditationspraxis.
Wirklich alleine sind wir genau dann, wenn wir vollkommen im gegenwärtigen
Moment verweilen, wenn wir vollkommen präsent sind. Andererseits können wir ein
Gefühl der Einsamkeit sowohl erleben, wenn wir tatsächlich einsam sind, als
auch wenn andere Menschen sich um uns herum befinden. Denn auch das Gefühl der
Einsamkeit wird in Wirklichkeit durch einen Geisteszustand hervorgerufen, in
dem wir eine innere Leere fühlen, die wir gerne auffüllen möchten. Wonach wir
uns tatsächlich sehnen, wenn wir uns einsam fühlen, ist mit allem verbunden zu
sein, also „all-ein“ zu sein. Was aber meistens passiert ist, dass wir nur
versuchen unsere innere Leere aufzufüllen, häufig indem wir die Nähe zu einem
anderen Menschen suchen. Nun ist es aber so, dass einsame Menschen andere
Menschen anziehen, die sich ebenfalls einsam fühlen. Beide versuchen also ihre
innere Leere aufzufüllen, aber keiner von beiden fühlt sich bereits „erfüllt“
und könnte dem anderen etwas von dieser „Fülle“ geben. Daher bleibt der Versuch
des Auffüllens der inneren Leere meist erfolglos, und irgendwann kommt es in
der Beziehung der beiden Menschen zu Konflikten, weil keiner von beiden
zufrieden ist. Ganz anders sieht es aus, wenn zwei Menschen zusammenkommen, die
wirklich alleine sind. Wenn wir „all-ein“ sind, fühlen wir uns eins mit Allem,
wir fühlen uns erfüllt und zufrieden. In diesem Zustand sind wir bereit, zu
geben, denn wir haben das Gefühl, dass wir bereits genug haben. In erster Linie
geben und schenken wir den Menschen um uns herum unsere Präsenz. Zwei Menschen,
die wirklich allein sind, können also vollkommen präsent sein und versuchen
nicht, etwas von dem jeweils anderen zu bekommen. Sie sind beide bereits
erfüllt und zufrieden, und sie genießen ihre Präsenz.
Wir alle können
vom Zustand der Einsamkeit in den Zustand des Alleinseins übergehen, indem wir
Meditation praktizieren. Entscheidend dafür ist die Kultivierung von
Achtsamkeit und Bewusstheit. Wir sind uns unseres Körpers, unserer Gefühle,
unserer Gedanken und der Umgebung um uns herum bewusst. Dies sind die vier
Grundlagen der Achtsamkeit, die wir praktizieren, um die Fähigkeit zum
Alleinsein zu entwickeln. Wir gründen unser Bewusstsein in diesen vier
Bereichen. Auf ganz natürliche Weise werden wir so unser wahres Selbst, unsere
wahre Natur entdecken, und sobald wir diese kennen, werden wir uns erfüllt
fühlen und in uns selber ruhen. Dann können wir wirklich allein sein.
Am Sonntag hat
Thay Phap Nhat einen zweiten Vortrag gehalten und inhaltlich einen Bogen vom
Alleinsein zum Sterben geschlagen. Zunächst hat er über das Sterben und den Tod
selbst gesprochen. Er hat den Dualismus Wachen/Schlafen mit dem Dualismus
Leben/Sterben verglichen. Wir alle wünschen uns, während der Nacht tief zu
schlafen, sodass wir am Tage wirklich wach sind. Genauso ist ein lebendiges
Leben möglich wenn wir wissen, wie wir „tief sterben“ können. Der Tod ist
unverzichtbar für das Leben und beide sind tief miteinander verbunden.
Viele Menschen
haben Angst vor dem Tod, weil er uns unbekannt ist. Außerdem haben wir Angst
davor, von allen Menschen und Dingen, die wir lieben und kennen, getrennt zu werden. Wenn wir sterben,
können wir absolut nichts von dem, was wir kennen und lieben, mitnehmen. Das
ist sehr beängstigend, solange wir uns im Geisteszustand der Einsamkeit
befinden. Denn in diesem Geisteszustand nehmen wir uns selbst als ein
gtrenntes, unabhängiges Selbst wahr, das sich nur durch Kontakt zu anderen
verbunden fühlen kann. Wenn wir allerdings bereits „all-ein“ sind, dann ist der
Tod für uns nicht mehr bedrohlich, denn es gibt nichts, von dem wir getrennt
werden können. Vom Zustand des Alleinseins können wir uns sogar noch
weiterentwickeln und in einen Zustand übergehen, der über Geburt und Tod
hinausgeht. Dies geschieht, sobald wir unser wahres Selbst entdecken, denn
dieses wahre Selbst ist kein abgrenzbares Ding, keine Entität, es ist nicht „etwas“,
und damit kann dieses Selbst auch niemals „abgetrennt“ werden oder Ähnliches.
So empfinden wir auch im Moment des Sterbens keine Trennung.
Zusammenfassend
erläuterte Thay Phap Nhat, wie wir uns durch unsere Meditationspraxis zunächst
vom Zustand der Einsamkeit zum Zustand des Alleinseins bewegen können und von
dort aus weiter zu dem Zustand, der über Geburt und Tod hinausgeht. Es ist
allerdings sehr wichtig, dass wir geduldig mit uns selber sind und nichts
forcieren, denn all diese Prozesse müssen auf natürliche Weise ablaufen. Wir
selbst nehmen dabei die Position des Beobachters ein. Das Einzige, worauf wir
achten sollten ist, wann immer wir uns daran erinnern, uns dessen bewusst zu sein,
was gerade in diesem Moment geschieht – in unserem Körper, in unseren Gefühlen,
in unserem Denken und in unserer Umgebung.
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